96 mal 96 Millimeter groß, glänzend, messingfarben, mit einer Inschrift versehen. Die Stolpersteine. Eine als einmaliges Kunstprojekt Ende der 1990er Jahre entwickelte Aktion des Künstlers Gunter Demnig entwickelte sich zu einem weltumspannenden Erinnerungsprojekt mit über 75.000 Steinen in 21 Ländern. Sie als kleine Gedenktafeln werden auf Gehwegen vor ehemaligen Wohnstätten derer eingelassen, die dort lebten und in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert oder vertrieben wurden.
Ein Projekt, das nicht unumstritten ist. Der Künstler wolle nur finanziell profitieren. Die Erinnerung würde mich Füßen getreten werden, wenn jemand über die Steine laufe. Selbst Eigentümer von Häusern, in denen einst Juden lebten, und vor denen Stolpersteine angebracht werden sollen, wehren sich zum Teil mit rechtlichen Schritten gegen diese Aktion. Manchmal aus dem Gefühl der Anklage, wie Peter Hess erklärt. „Das sind dann Eigentümer aus einem eher bürgerlichen Umfeld, deren Vater oder Großvater das Haus günstig von Juden übernommen hat. Die fühlen sich angeklagt, wenn da plötzlich ein Stolperstein vor der Tür auftaucht.“
Inwieweit diese Theorie zur Ursache der Abneigung gegen Demnigs künstlerische Arbeit zutrifft, sei dahingestellt. Sie verweist jedoch auf grundsätzliche Fragestellungen, die der Arbeit Stolpersteine und jede Arbeit der Erinnerungskultur innewohnt. Müssen wir uns erinnern? Will ich mich überhaupt erinnern? Warum betreiben wir solch einen großen Aufwand, nur damit später eine Tafel oder ein Denkmal aufgestellt wird? Hat das einen Sinn oder gehen die Menschen doch eh nur an diesen Orten der Erinnerung vorbei?
Ob wir müssen oder wollen, das ist eine Frage, die jeder für sich beantworten sollte. Die Bedeutung und der Sinn des Erinnerns bleiben von der Antwort jedoch unberührt. So umschreibt es Till Eckert in der ZEIT wie folgt: „Erst unsere Fähigkeit, Geschichte zu erzählen, zu reflektieren, uns zu erinnern, Verstorbenen künstlerisch und architektonisch zu gedenken, ein kollektives Gedächtnis zu entwickeln, erst diese Fähigkeiten machen uns zu Menschen. […] Wer die Erinnerung und die Reflektion über unsere Vergangenheit ablehnt, denkt und verhält sich unmenschlich, ja selbstzerstörerisch. Umgekehrt kann nicht unmenschlich handeln, wer sich erinnert.“
Dabei ist der Weg des Erinnerns nicht vorgegeben. Gerade die unterschiedlichen Formen der Erinnerungskultur bringen die Möglichkeit, dass Menschen, ihren Zugang zur Materie finden. So haben Stolpersteine, Mahnmale, Filme, Informationstafeln, die pädagogische Auseinandersetzung und viele weitere kreative Ansätze ihren Platz. In Merzenich zum Beispiel gehen wir die Bergstraße hinab und blicken auf den Zusatz unter dem Straßenschild „Klosterstraße“, der uns informiert „Hier lebten von 1736 – 1896 jüdische Familien“. Diese Ergänzung ist auf Anregung von Schülerinnen und Schülern der Gesamtschule Niederzier/Merzenich bei der Projektarbeit „Spurensuche in Merzenich“ gestellt worden. Sie hatten sich umfangreich zum jüdischen Leben in Merzenich informiert, dabei eine Zeitzeugin aus der Zeit des Nationalsozialismus befragt und eine jüdische Synagoge besucht.
Und wenn auch Kritik zu Stolpersteinen und Co. oder vielleicht zu Darstellung dieses Themas in diesem Beitrag entsteht, auch sie ist wertvoll. Mit Kritik setzen wir uns zu einem Thema auseinander und oftmals birgt Kritik die Chance zu neuen Wegen und Ideen. Überhaupt ist die Auseinandersetzung nicht eigentlich genauso wichtig, wie das Medium, über das das Wissen verbreitet wird? Stolpersteine, Gedenktafeln, schulische Projekte – bei ihnen wird recherchiert, Wissen zu Personen und Ereignissen gesammelt und für die Nachwelt festgehalten. Hauptsache wir setzen uns auseinander. So bin ich denn auch der Meinung „Manchmal müssen wir stolpern, ob über Steine oder Themen, nur dann können wir auch vorwärtsgehen.“
Und welche Rolle spielt ein Archiv bei diesem Thema, mögen Sie sich jetzt fragen. Ganz einfach: Das Archiv bewahrt, pflegt und sammelt die Quellen, die erst die Auseinandersetzung mit der Geschichte und Erinnerung möglich machen. Ohne ein Archiv könnte niemand den Versuch unternehmen zu Stolpern.